Herbert Masslau

Alg II und GEZ / LSG Niedersachsen ignoriert Datenschutz 

(Neufassung 4. Juni 2006)

 

 

Aufgrund der inzwischen eingetretenen Entwicklung in meinen eigenen Klageverfahren vor dem SG Hildesheim und dem LSG Niedersachsen-Bremen wie auch der argumentativen Verlagerung auf  das Datenschutz-Argument, habe ich mich zu einer Neufassung des bisherigen GEZ-Artikels entschlossen. Dabei habe ich den bisherigen Haupttext weitestgehend übernommen, den ganzen Dokumentationsteil entfernt und den Artikel um das Datenschutz-Argument mit Zitaten aus den gerichtlichen Entscheidungen in eigener Sache erweitert.

 

Nach § 6 Abs. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages, der im Hinblick auf die ab 1. Januar 2005 geänderte Rechtslage hinsichtlich der Sozialsysteme bereits 2004 geändert worden ist, sind Personen, die Arbeitslosengeld II/Sozialgeld nach dem SGB II beziehen (Nr. 3) oder Sozialhilfe nach dem SGB XII (Nr.1), und auch andere von der Zahlung der Rundfunkgebühren auf Antrag befreit.

Wurde dieser Antrag früher beim örtlichen Sozialamt gestellt und war für den Antragsteller bzw. die Antragstellerin kostenlos, so hat sich dies seit dem 1. April 2005 geändert:

Nicht nur, daß jetzt der Antrag auf Befreiung bei der GEZ in Köln eingereicht werden muß, die GEZ verlangt als Beleg entweder a) eine beglaubigte Kopie des Leistungsbescheides oder b) ein Zweitoriginal des Leistungsbescheides oder c) die behördliche Bestätigung der Vorlage des Originalbescheids auf dem Antragsformular (rechts unten).

Wie inzwischen sowohl aus Mitteilungen auf den einschlägigen Internetportalen, aber auch aus der Sozialberatungspraxis und nicht zuletzt dem, welches dem Autor selber widerfuhr, hervorgeht, sind die SGB II-Behörden, wenn auch verschiedenenorts noch nicht einheitlich, dazu übergegangen, weder ein Zweitoriginal des Leistungsbescheides noch die Bestätigung auf dem GEZ-Antrag mehr vorzunehmen, sondern von den (hier:) SGB II-Leistungsbezieherinnen und -beziehern zu verlangen, sich gegen eine entsprechende Gebühr den Leistungsbescheid beglaubigen zu lassen. (Verständlich, wenn in diesem Zusammenhang die Betroffenen, die sonst nichts mit Kirche zu tun haben wollen, sich in diesem Fall dort nicht eine kostenlose Beglaubigung abholen wollen.)

Also: erst Geld ausgeben, um vom Geldausgeben befreit zu werden. Der „Hartz IV“-Absurdismus treibt weitere Blüten.

Auch wenn sie wie eine Behörde auftritt, auch wenn anderen Behörden und sogar Gerichten die einfachen Kopien der Leistungsbescheide reichen, weil im Zweifelsfall ja Rückfragen bei der zuständigen Leistungsbehörde anhand der Bescheiddaten getätigt werden können, und man bzw. frau sich nur noch wundert angesichts des Tons der GEZ, daß nicht auch noch eine vom BKA beglaubigte Speichelprobe zur Bestätigung der personalen Existenz des Antragstellers/der Antragstellerin abverlangt wird, so ist die GEZ doch nur eine Zahlstelle und keine Behörde. Und deshalb sind auch im Falle einer ungerechtfertigten Rundfunkgebühren-Forderung die jeweiligen Landesrundfunkanstalten die Beklagten in einem Verfahren vor den dann zuständigen Verwaltungsgerichten. Und so sollen allein in 2005 vor dem VG Göttingen gegen den für Niedersachsen zuständigen Norddeutschen Rundfunk (NDR) mittlerweile etwa 170 Klageverfahren im Gegensatz zu einem Dutzend früher üblichen Verfahren pro Jahr wegen der GEZ-Gebühr anhängig sein.

Aber es sollten alle Wege ausgeschöpft werden. Es ist nämlich nicht einsichtig, warum die SGB II-Behörde die Bestätigung auf dem GEZ-Formular nicht geben kann.

Außerdem gibt es da noch das Argument mit dem Datenschutz:

„Als Skandal bezeichnete Holst die Tatsache, dass die GEZ weiterhin auf Originalbescheide für die Befreiung von Rundfunkgebühren bestehe. Das bedeute, dass die GEZ über persönliche Daten wie Drogenabhängigkeit oder Schwangerschaft informiert sei. Bisher habe sich die GEZ geweigert, eine Bestätigung der Bedürftigkeit ohne Angabe von Gründen seitens der ausstellenden Ämter zu akzeptieren.“ [Der Datenschutzbeauftragte des Landes Bremen – http://www.taz.de/pt/2006/04/01/a0093.1/text 

 

In Niedersachsen bringt es das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle sogar fertig, trotz der Auflage des Bundesverfassungsgerichtes, die Verfassungsrechte der Betroffenen in den fachgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen [BVerfG 1 BvR 569/05 Rn 26; 1 BvR 199/05 Rn 10; 1 BvR 143/05 Rn 21], diese Datenschutzrechte der „Hartz IV“-Empfänger zu ignorieren:

In dem Rechtsstreit Herbert Masslau ./. den Landkreis Göttingen 

„hat der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 4. Mai 2006 in Celle durch die Richter Taubert - Vorsitzender -, die Richter Bender und Wündrich beschlossen:

Die Beschwerde wird aus den Gründen des Beschlusses des SG Hildesheim vom 30. März 2006 – S 13 AS 261/06 ER – zurückgewiesen.

Im Übrigen gibt es für den vom Antragsteller geltend gemachten Anspruch keine Rechtsgrundlage.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Dieser Beschluß ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).“ [Az.: L 7 AS 228/06 ER]

 

Und was schrieb nun das SG Hildesheim in seinem Beschluß? Nach Schilderung des Sachstandes und dem üblichen formalen Vorabgeschriebsel zu § 86b SGG beschränkte sich die Begründung auf Folgendes:

„Der Antragsteller begehrt die Bescheinigung des SGB II-Bezuges auf einem Befreiungsantrag der GEZ. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben bis Mai 2006 von der Gebührenpflicht befreit. Eine Befreiung für den Zeitraum von Juni bis Dezember wurde bei der GEZ vorgemerkt. Der Antragsteller hat bis Ende November 2006 Zeit, die Befreiungsvoraussetzungen bei der GEZ nachzuweisen, wobei für die letzte Befreiung die Vorlage einer einfachen Kopie des SGB II - Bescheides ausreichend war. Es ist nicht ersichtlich, warum nicht auch bei der anstehenden Gebührenbefreiung eine einfache Kopie genügen sollte. Selbst wenn die Vorlage einer einfachen Kopie bei der GEZ nunmehr nicht mehr ausreicht, der Antragsteller für die Befreiung somit eine beglaubigte Kopie benötigen würde, entstünden ihm hier allenfalls Kosten in Höhe von ca. 4,00 €. Dies bedeutet keinen wesentlichen Nachteil. Auch eine Gefährdung der Existenz des Antragstellers ist hier nicht ersichtlich. Andere wesentliche Nachteile, die durch die Versagung der Bescheinigung und Verweisung auf eine Beglaubigung beim Antragsteller entstehen könnten, sind nicht ersichtlich.“

Aha, andere wesentliche Nachteile sind nicht ersichtlich! Auf dem Datenschutz-Auge ist also das SG Hildesheim komplett blind und ihm folgt das LSG Niedersachsen.

Hier wird aber nicht Blinde Kuh gespielt, sondern hier geht es um elementare Verfassungsrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 GG); zumindest, in meinem Fall, geht es die GEZ nichts an, bei welcher Krankenkasse ich bin, und auch die Daten zu meinen minderjährigen mit mir im Haushalt lebenden Kindern geht die GEZ nichts an.

Um gegenüber der GEZ die datenschutzrechtlichen Bedenken hinsichtlich einer Übermittlung des kompletten SGB II-Leistungsbescheides, sei es als Original, als amtlich beglaubigte oder auch nur als entgegen den eigenen Vorschriften akzeptierte einfache Kopie, geltend machen zu können, bedarf es wenigstens der hier geforderten amtlichen Bescheinigung auf dem GEZ-Antragsformular für die Rundfunkgebührenbefreiung. Ansonsten käme es dazu, entweder keinen, weil beleglosen, Befreiungsantrag bei der GEZ einreichen zu können, oder aber doch wieder durch eine Kopie des SGB II-Leistungsbescheides dem eigenen verfassungsmäßigen Recht auf informationelle Selbstbestimmung zuwider handeln zu müssen.

Der Zwang, einerseits, gegen die eigenen Rechte aus Art. 2 i.V.m. Art. 1 GG hinsichtlich des informationellen Selbstbestimmungsrechtes verstoßen zu müssen, ist verfassungswidrig. Der Zwang, andererseits, die Regelleistung monatlich um ca. 17 € belasten zu müssen, verletzt Art. 20 GG, indem die SGB II-Leistung unter das sozio-kulturelle Minimum gedrückt wird.

 

 

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