Herbert Masslau

Alg II: Umzugszwang und selbgenutztes Wohneigentum

(4. März 2007)

 

 

Vorbemerkung

In diesem Artikel geht es ausschließlich um die Frage der „Angemessenheit“ von selbstgenutztem Wohneigentum.

Der Artikel zum Thema „Angemessenheit“ von Mietwohnraum findet sich hier.

 

Unter selbstgenutztem Wohneigentum werden Eigenheime (im Fachjargon: selbstgenutztes Hausgrundstück) und Eigentumswohnungen verstanden.

Wie schon die vor dem 1. Januar 2005 geltende Arbeitslosenhilfe-Verordnung (§ 1 Abs. 3 Nr. 5 AlhiV 2002) so bestimmt auch § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, daß „ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung“ nicht bei der Vermögensverwertung zu berücksichtigen ist (sogenanntes Schonvermögen).

Dabei wurde sich in der Vergangenheit auf das 2001 außer Kraft getretene Zweite Wohnungsbaugesetz (2. WoBauG) bezogen, welches Größen vom 130 m² für Eigenheime und 120 m² für Eigentumswohnungen als „angemessen“ ansah:

„Zur Bestimmung der angemessenen Größe sind bislang die Wohnflächengrenzen des § 39 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 3 iVm Abs 2 des 2. WoBauG herangezogen worden, wenn es sich um einen Zeitraum handelte, in dem diese Vorschrift noch in Kraft war (…). Nach § 39 Abs 1 Satz 1 des 2. WoBauG sollte mit öffentlichen Mitteln ‚nur der Bau von angemessen großen Wohnungen innerhalb der nachstehenden Grenzen gefördert werden: 1. Familienheime mit nur einer Wohnung - 130 qm, ... 3. eigengenutzte Eigentumswohnungen und Kaufeigentumswohnungen - 120 qm’. Überschreitungen von 20 qm pro Person waren insbesondere möglich, soweit die Mehrfläche zu einer angemessenen Unterbringung eines Haushalts mit mehr als vier Personen erforderlich war (vgl § 82 Abs 3 Satz 1 2. WoBauG).“ [BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az.: B 7b AS 2/05 R, Rdnr. 17]

Hernach trat an Stelle des 2. WoBauG das Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) in Kraft, mit der Folge, daß nun die Bundesländer einzelne Ausführungsbestimmungen erließen, die stark von einander abwichen. So benennt das Bundessozialgericht (BSG) in seiner diesem Artikel zu Grunde liegenden Entscheidung (BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az.: B 7b AS 2/05 R) beispielhaft Bayern mit 70 m² für einen Zwei-Personen-Haushalt, Niedersachsen mit 90 m² und Baden-Württemberg mit 130 m² (allerdings ohne Personenzahlbegrenzung) und folgert:

„Die erhebliche Diskrepanz in den Länderbestimmungen lässt eine Bezugnahme zur Auslegung des Begriffs der Angemessenheit in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II nicht zu. Denn anders als im Rahmen von § 22 Abs 1 SGB II sind bei der Angemessenheitsprüfung im Rahmen von § 12 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II die regionalen Verhältnisse kein sachgerechtes Beurteilungskriterium. Während bei der Übernahme der Unterkunftskosten durch den Grundsicherungsträger die konkreten Bedingungen des örtlichen Mietwohnungsmarktes ausschlaggebend sind, weil sie die Höhe der im konkreten Fall angemessenen Kosten bestimmen, besteht in Bezug auf die Angemessenheit von Wohneigentum eine vergleichbare Relevanz der regionalen Verhältnisse gerade nicht.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 20]

„Der Senat orientiert sich deshalb im Grundsatz weiterhin an den Wohnflächengrenzen des 2. WoBauG, hält aber eine Differenzierung nach der Anzahl der Personen für geboten … .“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 21]

 

Relation SGB II / SGB XII

Das BSG stellt eine Ungleichbehandlung in der vorliegenden Frage zwischen Alg II-Empfängerinnen und -Empfängern einerseits und Sozialhilfe beziehenden Personen andererseits fest:

„Nach dem Wortlaut des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II bezieht sich die Angemessenheit nur auf die Größe des Hausgrundstücks bzw der Eigentumswohnung.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 14]

„Auf andere wertbildende Faktoren wird auch nach dem Wortlaut in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II - im Gegensatz zu § 90 Abs 2 Nr 8 Satz 2 SGB XII - nicht abgestellt (…)“. [BSG, a.a.O., Rdnr. 14]

Das BSG geht dabei davon aus,

„dass Zweck des Schutzes gerade nicht die Immobilie als Vermögensgegenstand ist, sondern allein die Erfüllung des Grundbedürfnisses ‚Wohnen’ und die Funktion der Wohnung als räumlicher Lebensmittelpunkt“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 15]

und folgert daraus, daß eine Abstellung allein auf die Wohnungsgröße „sachwidrig“ sei. Vielmehr müsse „stärker auf den Aspekt der Vermögensverwertung zur Erzielung von Einnahmen für die Bestreitung der Lebenshaltungskosten abstellt“ werden [BSG, a.a.O., Rdnr. 15]

Und weiter:

„Dieser Erkenntnis hat der Gesetzgeber im Bereich der Sozialhilfe Rechnung getragen. Nach § 90 Abs 2 Nr 8 Satz 2 SGB XII bestimmt sich die Angemessenheit (anknüpfend an § 88 Abs 2 Nr 7 Satz 2 BSHG) nach differenzierteren, auf die konkreten Lebensverhältnisse und den wirtschaftlichen Wert der Immobilie abstellenden Kriterien (Zahl der Bewohner, besonderer Wohnbedarf <zB behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen>, Grundstücksgröße, Hausgröße, Zuschnitt und Ausstattung des Wohngebäudes sowie Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes). Zur Bestimmung der angemessenen Größe verwies § 88 Abs 2 Nr 7 Satz 3 BSHG zudem bis zum 31. Dezember 2001 ausdrücklich auf die Wohnflächengrenzen des § 39 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 3, Abs 2 2. WoBauG iVm § 82 2. WoBauG. Der erkennende Senat hat in seiner letzten Entscheidung zur Bestimmung der Angemessenheit einer Eigentumswohnung bei der Berücksichtigung von Vermögen im Rahmen der Alhi zu § 1 Abs 3 Nr 5 AlhiV 2002 angedeutet, dass neben der Größe uU auch der Wert Berücksichtigung finden könnte (…). Der Gesetzgeber des SGB II hat sich demgegenüber nicht für eine Harmonisierung der Verwertungspflicht von selbst genutzten Immobilien im Sozialhilferecht einerseits und SGB II andererseits entschieden. Die isolierte Orientierung an der Größe der Immobilie privilegiert den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gegenüber dem Sozialhilfebezieher, soweit Letzterer Immobilien von angemessener Größe verwerten muss, wenn deren wirtschaftlicher Wert dies erfordert. Für eine derartige Privilegierung ist nach der weitgehenden Annäherung der Leistungssysteme und der Abkehr von dem der Alhi zu Grunde liegenden Prinzip der Lebensstandardsicherung (vgl § 12 Abs 3 Satz 2 SGB II) ein rechtfertigender Grund nur schwer auszumachen (…). Da die Klägerin jedoch zum Kreis der privilegierten Leistungsbezieher zählt, erübrigt sich hier eine allgemeine Prüfung auf der Grundlage des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG).“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 16]

Allerdings trifft das BSG in seiner hier zu Grunde liegenden Entscheidung eine Modifizierung, die neben der reinen Größe des selbstgenutzten Wohneigentums auch die Anzahl der Personen berücksichtigt:

„Verfassungsrechtlich geboten ist jedoch eine Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung insoweit, als sich das BSG zum früheren Recht der Alhi noch nicht festgelegt hatte, ob bei der Angemessenheit der Größe einer Eigentumswohnung nach der Zahl der Bewohner zu differenzieren ist oder nicht.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 17]

Diese Angleichung der beiden Sozialhilfesysteme SGB XII und SGB II nimmt das Bundessozialgericht (s.u. Zitat Rdnr. 21) zumindest in diesem Punkt dann auch vor.

 

Kriterien der „Angemessenheit“

„Der Senat orientiert sich deshalb im Grundsatz weiterhin an den Wohnflächengrenzen des 2. WoBauG, hält aber eine Differenzierung nach der Anzahl der Personen für geboten … .“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 21]

Dabei stellt hinsichtlich der zu berücksichtigenden Personenzahl das BSG zunächst fest:

„In der Literatur ist die Reduzierung der Wohnfläche bei weniger als vier Personen umstritten … .“

„Im 2. WoBauG selbst (…) fand eine Reduzierung der Grenzwerte bei geringerer Personenzahl als vier keine Grundlage. Geregelt war dort nur die Erhöhung von jeweils 20 qm pro Person zur angemessenen Unterbringung eines Haushalts mit mehr als vier Personen (…). Ein Teil der Oberverwaltungsgerichte plädierte im Rahmen des § 88 BSHG, der bis zum Außerkrafttreten des 2. WoBauG eine Bezugnahme von § 39 2. WoBauG enthielt, für eine Reduzierung um jeweils 20 qm pro Person, sodass bei Eigentumswohnungen für drei Personen 100 qm, für zwei Personen 80 qm und für eine Person nur 60 qm als angemessen angesehen wurden (…). Eine Orientierung an der Bewohnerzahl zur Bestimmung der Angemessenheit einer Eigentumswohnung hat auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) befürwortet (…). Sie lässt sich nunmehr auch aus Satz 2 des § 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII ableiten. Danach bestimmt sich die Angemessenheit (auch) nach der Zahl der Bewohner (…). Eine Heranziehung dieses Aspektes erscheint zur Bestimmung der angemessenen Größe einer Eigentumswohnung auch im Rahmen des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II geboten, weil andernfalls die Ungleichheiten bei der Immobilienverwertungspflicht, die sich aus der unterschiedlichen Fassung der maßgebenden Vorschriften in § 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII einerseits und § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II andererseits ergeben, ein Ausmaß erreichten, das verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar wäre.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 21]

Somit kommt das BSG zu folgendem Ergebnis hinsichtlich der „angemessenen“ Wohnungsgröße in Bezug auf die Personenzahl:

„Entsprechend der in § 82 Abs 3 Satz 1 2. WoBauG in Bezug genommenen Größe von 20 qm hält der Senat eine Reduzierung von jeweils 20 qm pro Person - ausgehend von 120 qm bei einem Haushalt von vier Personen - für sachgerecht. Bei einer Belegung der Wohnung mit bis zu zwei Personen ist die Grenze allerdings typisierend auf 80 qm festzusetzen; dh eine weitere Reduzierung um 20 qm bei Belegung mit nur einer Person kommt im Regelfall nicht in Betracht.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 22]

Daß das BSG nicht die Rechtsprechung etwa des OVG Lüneburg (Niedersachsen) mit einer weiteren Reduzierung auf 60 m² für eine Einzelperson vornahm, sondern bei 80 m² eine untere Grenze einzog, begründet das BSG wie folgt:

„Dies erscheint schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität geboten, weil andernfalls stets eingehend zu prüfen wäre, ob sich der Betroffene in einer Lebensphase befindet, in der eine Änderung der Zahl der Wohnungsnutzer zu erwarten ist oder jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann. Diese Überlegung ist im Übrigen bereits in § 10 Abs 1 Nr 2 WoFG angelegt, wonach bei der Wohnflächenbestimmung ein nach der Lebenserfahrung in absehbarer Zeit zu erwartender zusätzlicher Raumbedarf zu berücksichtigen ist. Danach ist bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen regelmäßig auch bei nur einer Person eine Wohnfläche von 80 qm als angemessen anzusehen.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 22]

Damit sind die Kriterien für die „Angemessenheit“ von selbstgenutztem Wohneigentum vorläufig festgelegt.

Aber:

„Die genannten Grenzwerte können jedoch nicht als quasi normative Größen herangezogen werden. Es muss Entscheidungsraum für außergewöhnliche, vom Regelfall abweichende Bedarfslagen im Einzelfall bestehen bleiben (…). Die angenommenen Werte orientieren sich am ‚Durchschnittsfall’ und bedürfen beim Vorliegen besonderer Umstände einer Anpassung nach oben, unter Umständen aber auch nach unten.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 22]

 

Relation Mietwohnungen / selbstgenutztes Wohneigentum

Wie erkennbar, liegen die Werte für die Wohnungsgröße bei selbstgenutztem Wohneigentum (1P.=80m²/2P.=80m²/3P.=100m²/4P.=120m²) deutlich über denen bei Mietwohnungen (1P.=45-50m²/2P.=60m²/3P.=75m²/4P.=85-90m²).

Diesen Unterschied begründet das BSG wie folgt:

„Die Heranziehung unterschiedlicher Wohnflächengrenzen zur Festlegung der Angemessenheit für selbstgenutztes Wohneigentum einerseits und für Mietwohnungen (vgl hierzu eingehend: Urteil des Senats vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R) andererseits wird durch die unterschiedlichen Ziele, denen die Prüfung der Angemessenheit jeweils dient, gerechtfertigt und bedeutet auch im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot in Art 3 Abs 1 GG keine unzulässige Besserstellung von Wohnungseigentümern gegenüber Mietern. § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II ist eine rein vermögensrechtliche Schutzvorschrift gegenüber dem Verwertungsbegehren des Grundsicherungsträgers (…). Die Angemessenheitskontrolle im Rahmen von § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II hat insoweit nicht das Ziel, eine Einstandspflicht des Grundsicherungsträgers für unverhältnismäßige Unterkunftskosten des Hilfebedürftigen auszuschließen.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 24]

Allerdings läßt das BSG durchblicken, was wohl bald kommen wird und nur deshalb nicht entschieden wurde, weil es der der vorliegenden Entscheidung zu Grunde liegende Fall nicht hergab:

„Art 3 Abs 1 GG ist dagegen tangiert, wenn es um die Übernahme der Unterkunftskosten von Mietern einerseits und Haus- bzw Wohnungseigentümern andererseits geht, etwa im Hinblick auf die Höhe der Kaltmiete einerseits und der Darlehenskosten andererseits sowie in Bezug auf Heizungs- und sonstige Nebenkosten. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung bei § 22 Abs 1 SGB II wird eine Privilegierung von Eigentümern gegenüber Mietern nicht zu rechtfertigen sein. Nicht zuletzt der Ausschluss der Übernahme von Tilgungsraten (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R) ist in diesem Zusammenhang zu erörtern.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 24]

 

Fazit

Damit ist vorgezeichnet, daß zwar im Rahmen des § 12 SGB II selbstgenutztes Wohneigentum einerseits als Schonvermögen geschützt ist, andererseits aber im Rahmen des § 22 SGB II die Kostenübernahme derart reduziert wird, daß zu erwarten steht, daß viele „Hartz IV“-Empfängerinnen und -Empfänger ihr selbstgenutztes Wohneigentum unter dem Druck zunehmender Verschuldung zu veräußern gezwungen sind, obwohl es unter das Schonvermögen fällt.

 

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