Herbert Masslau

Ist der Staat wirklich pleite?

(16. Juni 2003)

 

 

Kaum ein Tag, wo nicht die Hurenjournaille [*] statt ihrer beruflichen Recherchepflicht nachzukommen regierungsamtlichen Unsinn multipliziert.

Kaum ein Tag also, wo nicht in Presse, Funk und Fernsehen die Rede vom fehlenden Geld im Staats- bzw. Stadtsäckel ist.

Und dies scheint seine Wirkung nicht zu verfehlen.

Leider betreiben aber nicht nur die Politiker aller Couleur dieses Geschwätz und eben jene Hurenjournaille, die für ein Glas Sekt und einen Händedruck vom Herrn Minister oder auch nur vom Herrn Oberbürgermeister bereit ist ihre Journalistenpflicht zu vergessen und das gewünschte Gejammer weiter zu verbreiten, sondern auch solche, die eher nicht im Sympatisantensumpf der Sozialraubritter gewähnt werden, faseln den gleichen ideologischen Krams daher – bis hin zu Leuten, die sich für die Opfer des modernen Sozialraubrittertums engagieren.

Also, die Antwort vorweg: Geld ist genug da, sonst könnte ja Deutschland nicht auch am Hindukusch verteidigt werden.

Es ist sogar soviel Geld vorhanden, daß auf die Besteuerung der Reichen großteilig verzichtet wird.

Und es ist soviel Geld vorhanden, daß ohne mit der Wimper zu zucken die Millionen für die neo-imperialistische Politik Deutschlands bereitgestellt werden – zum Beispiel am Hindukusch, oder, kurz vor Sansibar, auch wenn der Kaiser das damals gegen Helgoland mit den Engländern getauscht hat.

Nein, einzig den Kommunen, die so dumm waren, sich von einem einzigen Großunternehmen abhängig zu machen oder abhängig zu bleiben, einzig denen gestehe ich zu, daß sie beim – politisch gewollten – Wegfall großer Gewerbesteuereinnahmen mehr oder minder pleite sind.

Alle anderen bedienen sich der nützlichen Lüge von der Pleite, um ihrem Lieblingssport des Sozialraubrittertums nur noch mehr zu frönen und um nur noch unverschämter die so eingesparten Gelder anderweitig zu verprassen, nämlich nicht zugunsten der Allgemeinheit in Form von Personalkosten für die Stadtbücherei oder in Form von Energiekosten für das kommunale Freibad, sondern in Form überteuerter Aufträge für Parteifreund-Unternehmer oder anderweitiger Förderung derselbigen und anderer Interessen-Inhaber.

Nachfolgend möchte ich am konkreten Beispiel aufzeigen, wieso genug Geld vorhanden ist. Das konkrete Beispiel ist nicht der Sündenfall des „Schwarzen Schafes“, sondern in seiner Detail-Konkretheit zwar ortsspezifisch, aber in seiner grundsätzlichen Art und Weise oder im Überhaupt von sehr weit verbreitetem, allgemein gültigem Charakter. Die Personen, die politischen Parteien, die beteiligten Kommunen sind dabei austauschbar, aber der Stil, die Korruptheit, die Machtgeilheit und die mafiosen Strukturen, die Letztere in Deutschland als Spezifikum immer an den „Parteien-Staat“ gebunden sind, sind überall die gleichen.

 

Beispiel 1:

Ein ehemaliges Eisenbahnausbesserungswerk soll seitens der Kommune anderweitig genutzt werden. Für die Umbauarbeiten wird u.a. auch für Metallbauarbeiten eine öffentliche Ausschreibung durchgeführt. Einen Tag nach dem Eröffnungstermin für die Angebote bewirbt sich eine Firma aus dem Ortsteil des Fraktionsvorsitzenden der regierenden Partei.

Bei der Eröffnung der Angebote kommt zunächst heraus, daß der günstigste und der zweitgünstigste Bieter ein unzulängliches Angebot abgegeben haben (sollen). Am Zuge wäre dann der Dritte gewesen, eine Firma, deren Chef ebenfalls der regierenden Partei nahesteht. Die betreffende Stadtverwaltung erklärt aber kurzerhand die gelaufene öffentliche Ausschreibung für aufgehoben und vergibt den Auftrag freihändig, so der Fachterminus, an eben jene Firma aus dem Ortsteil des Fraktionsvorsitzenden der regierenden Partei, die ja eigentlich zu spät ihr Angebot eingereicht hatte. Drei Monate später wird das Ganze dann demokratisch vom Submissionsausschuß unter Protest des Ortsbürgermeisters aus jenem Ortsteil, aus dem die Firma stammt, die eigentlich hätte den Auftrag kriegen müssen, „demokratisch“ nachlegitimiert.

Nun hakt aber der unterlegene Unternehmer nach. Die Sache wird haarig, denn mögliche rechtliche Schritte des geprellten Bieters stehen im Raum.

Die Stadtverwaltung bietet dem geprellten Bieter „Gespräche“ an. Diese „Gespräche“ sind erfolgreich. Gleichsam als Trostpflaster für den entgangenen ca. 700.000,- -DM-Auftrag verzichtet die Stadt auf ca. 90.000,- DM Abwasserbeiträge für Grundstücke des Firmeninhabers – getarnt als Wirtschaftsförderung „demokratisch“ beschlossen wiederum drei Monate später vom Wirtschaftsförderungsausschuß.

Das war – ohne Namen zu nennen – ein konkretes Beispiel aus dem Jahre 1994.

 

Beispiel 2:

Eine Kommune, die so ein bißchen im Größenwahn schwelgt und gerne mit einer Reha-Klinik werben können möchte. Es war so die Zeit, wo die Dinger wie Pilze aus dem Boden schossen – Bauherren: Privatleute, Finanziers: die öffentliche Hand.

So auch hier. Zunächst wird ein Grundstück ausgesucht. Nicht nach sachlichen Erwägungen, sondern nach dem Motto, wo kann noch ein Landwirt aus der regierenden Partei von überteuerten Quadratmeterpreisen oder überhöhten Ausgleichszahlungen profitieren. Die Kommune kauft also das Grundstück und schenkt es dem Privatbauherrn der Reha-Klinik, weil diese Einrichtung für die Kommune doch so bedeutend sei und auch noch Arbeitsplätze schaffe. Klar, daß der abseitige Acker auch eine Zugangsstraße braucht und eine eigene Abbiegspur von der Hauptstraße. Dazu kommen dann noch so „peanuts“ wie erlassene Kanalbaubeiträge, die Übernahme von Gebühren für eine Bürgschaft des Privatbauherren. Auch die Hälfte der Vertragskosten, die normalerweise der Käufer voll zu zahlen hat, übernimmt die Kommune. Tja, so alles in allem 3 ½ Millionen DM. Unnötig zu erwähnen, daß besagter Privatbauherr und Sproß einer „Notabeln“-Familie der Regierungspartei mehr als nahe stand.

Diese wahre Geschichte – wieder ohne Namen zu nennen – geschah im Jahre 1993.

 

Ein Standard-Beispiel ist, finanziell großvolumige Prestigebauten zu Beginn so billig zu rechnen, daß alle politischen Parteien im Kommunalparlament zustimmen können. Hat das Projekt dann diese Hürde genommen, werden regelmäßig mit jeder Phase die Gesamtkosten erhöht. Ist alles fertig, stellen sich gravierende, für jeden Laien vorher erkennbare Mängel (zum Beispiel Fehlen von behinderten-freundlichen Toiletten) heraus, die zu einem nachträglichen Millionenaufwand sich summieren. Und an allem verdient der planende Architekt per HOAI seine, sagen wir, zehn Prozent. Bösewicht, wer da an das Parteibuch des Architekten denkt? Oder an das Parteibuch des örtlichen Großbauunternehmers, dem durch das Niedrigrechnen die europa-weite Ausschreibung und damit die billigere nicht-deutsche Konkurrenz erspart bleibt?

 

Aber wehe, wenn einer Sozialhilfeempfänger ist: da wird sich für Pfennigbeträge (rechtswidrig) auf die Hinterbeine gestellt.

Wohlgemerkt, bei den hier relevanten Beispielen geht es um reale Einkommensverluste oder Vermögensverluste für die Kommune. Viele Fälle werden zu Lasten der Bürger ganz anders geregelt, zum Beispiel über Abwassergebühren, wo die Kommune dann in der Tat keinen finanziellen Schaden trägt, sondern der private Verbraucher über entsprechend überhöhte Gebühren einen begünstigten Nutzer mitfinanziert.

Desweiteren habe ich bewußt Beispiele gewählt, die sich nicht abtun lassen mit einzelnen „Schwarzen Schafen“ in irgendwelchen (vornehmlich Bau-)Verwaltungen, sondern die in der Regel von allen „demokratisch“ getragen sind, also auch von der „Oppositions“. Egal, welche Partei regiert, egal, welche Partei in der „Opposition“ ist, es gehört zu den "Spielregeln" (der Demokratie), die Mißstände als Opposition nicht aufzudecken, um die Regierung politisch-moralisch zu attackieren, um Korruption zukünftig zu verhindern, sondern es gehört zur „Rolle“ der „Opposition“, die Mißstände hinter den Kulissen als Erpressungsmaterial gegen die Regierung zu nutzen, um etwas – meistens Pöstchen – von den eigenen Interessen durchzusetzen. (Von dieser Regel gibt es nur zwei Ausnahmen: Profilierungsnotwendigkeit der "Opposition" kurz vor Wahlen und 'irrationale Beziehungsgeflechte'.)

Und auch die verschiedenen Ebenen spielen zusammen. Die landesherrliche Kommunalaufsicht zum Beispiel in Niedersachsen funktioniert nicht, egal ob Schwarz oder Rot regiert. Denn was im schwarzen Emsland gemacht wird, wird auch im roten Ostfriesland gemacht. Wer die eigene Couleur decken will, kann die gegnerische nicht in die Pfanne hauen. So funktionieren die „Spielregeln“, keiner fällt aus der „Rolle“, alle verdienen dran, die einen Geld, die anderen dürfen ihren kleinen Geist als Honoratioren öffentlich zur Schau stellen, und das „Publikum“ klatscht alle vier oder fünf Jahre Beifall – das nennt sich für gemeinhin parlamentarische Demokratie.

 

[*] Dabei gehört es durchaus zum Auflagen oder Einschaltquoten steigernden Sensationsjournalismus über einzelne Korruptionsfälle in der Öffentlichen Verwaltung oder bei Volksvertretern zu berichten, wobei auf diese "Schwarzen Schafe" umso lautstarker eingedroschen wird je mehr die alltäglichen Schmierengeschäfte mit Lobhudelei bedacht werden. Dabei bin ich mir durchaus bewußt, daß ein Journalist, der aus Naivität oder Ehrlichkeit die "Spielregeln" verletzt, seine berufliche Existenz gefährdet.

 

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