Herbert Masslau

Das unterhaltsrechtliche Kindergeld im SGB II / SGB XII-Bezug

(15. Februar 2017 / überarb. F. 22. März 2019)

 


Vorbemerkung

Das hier behandelte Thema des unterhaltsrechtlichen Kindergeldes  beschäftigt immer noch die Sozialgerichte, auch wenn Glauben gemacht wird, durch die Neuregelung 2008 sei  nun eine Angleichung von Unterhaltsrecht (BGB) und Sozialrecht (SGB II, SGB XII) erfolgt.

Hintergrund der unterhaltsrechtlichen Änderung war und ist, daß durch das Unterhaltsrecht die Regelungen von § 11 Abs. 1 SGB II und § 82 Abs. 1 SGB XII, wonach abweichend von der Einkommenszuordnung beim kindergeldberechtigten Elternteil das Kindergeld solange und soweit dem betreffenden Kind zugeordnet werden soll, insoweit es zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs des Kindes nötig ist, nicht konterkarriert werden sollten.

Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung hat § 64 EStG (immer schon) bestimmt, daß das Kindergeld nur an einen Kindergeldberechtigten ausgezahlt wird (Abs. 1), und zwar an denjenigen – in der Regel – Elternteil, bei dem das Kind im Haushalt lebt (Abs. 2).

Da spätestens mit der Entscheidung BGH, Urteil vom 26. Oktober 2005, Az.: XII ZR 34/03 klar war, daß bei minderjährigen Kindern und getrennt lebenden Eltern das Kindergeld dem Betreuungsunterhalt und dem Barunterhalt leistenden Elternteil jeweils zur Hälfte bzw. bei volljährigen Kindern ganz dem barunterhaltspflichtigen Elternteil zuzurechnen ist, ergab sich das Problem des Widerspruchs zwischen zivilem Unterhaltsrecht und der vom Gesetzgeber gewollten Zuordnung im Sozialrecht.

Denn, der zivilrechtliche Zahlbetrag beim Unterhaltsrecht („Düsseldorfer Tabelle“) ist ja schon – der Einfachheit halber sei hier und nachfolgend nur vom hälftigen Kindergeldbetrag für minderjährige Kinder die Rede – um den hälftigen Kindergeldbetrag gekürzt, so daß Betroffene zurecht geltend machten, daß dieser Teil des Kindergeldes in jedem Falle dem Kind zustehe, also im Falle ganz oder teilweise bedarfsdeckender Unterhaltsleistungen des barunterhaltspflichtigen Elternteils nicht als Einkommen des betreuungsunterhaltspflichtigen („Hartz IV“-)Elternteils angerechnet werden dürfte.

Obwohl die Sozialgerichte nicht auf diesen Zug aufsprangen, wurde offensichtlich bei der Bundesregierung das eigentliche Rechtsproblem erkannt und Handlungsbedarf gesehen.

Die Folge war die Gesetzesänderung des § 1612b BGB zum 1. Januar 2008.

Diese Gesetzesänderung fand statt, um – zulasten der Betroffenen, auch der betroffenen Kinder, denen bis heute das hälftige Kindergeld nicht z.B. zur Ergänzung der viel zu niedrigen Schulbeihilfe zur Verfügung steht – einen Gleichklang herzustellen zwischen dem Sozialrecht und dem zivilen Unterhaltsrecht [1].

Merkwürdiger Weise bleibt aber das Grundproblem weiterhin bestehen, weshalb wohl von den Grundsicherungsträgern immer gerne auf eine BVerfG-Entscheidung abgehoben wird, die mit dem Problem gar nichts zu tun hat. Die BVerfG-Entscheidung 1 BvR 3163/09 vom 11. März 2010 ist nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar. Beschwerdeführer war seinerzeit ein Kind, bei dem nicht nur gemäß § 11 SGB II das Kindergeld in voller Höhe auf das Sozialgeld angerechnet wurde, sondern auch anteilig Einkommen der Eltern. Hieraus ergibt sich, daß die Eltern zusammen mit dem Kind in Haushaltsgemeinschaft lebten und eben kein Fall von getrenntem Betreuungs- und Barunterhalt vorlag. Im Übrigen wird hier nicht die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen grundlegend angezweifelt wie in dem Fall der genannten BVerfG-Entscheidung.

Das hier dargestellte Problem geht weiter. Doch dazu weiter unten.

 

Gesetzesänderung § 1612b BGB zum 1.1.2008

Zum 1. Januar 2008 erhielt der hier relevante § 1612b BGB eine neue Fassung.

Lautete dieser Paragraph bis dahin (Auszug)

„Absatz 1 Das auf das Kind entfallende Kindergeld ist zur Hälfte anzurechnen, wenn an den barunterhaltspflichtigen Elternteil Kindergeld nicht ausgezahlt wird, weil ein anderer vorrangig berechtigt ist

Absatz 5 Eine Anrechnung des Kindergeldes unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande ist, Unterhalt in Höhe von 135 Prozent des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten.“

so erhielt er nun die Fassung (Auszug)

„Absatz 1 Das auf das Kind entfallende Kindergeld ist zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden:

1. zur Hälfte, wenn ein Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2);

2. in allen anderen Fällen in voller Höhe.

…“

Damit sollte die insbesondere durch die Entscheidung BGH, Urteil vom 26. Oktober 2005, Az.: XII ZR 34/03 verschärfte Rechtsproblematik entschärft und die Sache zulasten der von sozialhilferechtlichen Leistungen Abhängigen zu einer Angleichung des zivilen Unterhaltsrechtes an das bereits bestehende Sozialhilferecht (SGB II, SGB XII) angepaßt werden.

Für nicht sozialhilferechtlich Betroffene ändert sich faktisch nichts. Das heißt das Kindergeld wird weiterhin in voller Höhe an den die Betreuungsleistung erbringenden Elternteil ausgezahlt (§§ 62, 64 EStG), während der barunterhaltspflichtige Elternteil weiterhin bei minderjährigen Kindern das hälftige, bei volljährigen Kindern das volle Kindergeld vom Bruttounterhalt abgezogen bekommt und nur den so geminderten Geldbetrag als Barunterhalt zu leisten braucht.

 

Die Rechtsprechung von Bundesgerichtshof (BGH) und Bundessozialgericht (BSG)

Trotz der erfolgten Gesetzesänderung besteht das Rechtsproblem unterhaltsrechtliches Kindergeld fort.

„Denn die Angleichung der unterhaltsrechtlichen Behandlung des Kindergeldes an die sozialrechtliche vermag die grundsätzliche kindergeldrechtliche Zuordnung nach § 62 EStG nicht außer Kraft zu setzen“ [2]. Es ging dabei darum, daß das LSG wie schon das SG es ablehnte, das hälftige Kindergeld dem aufgrund eigenen Unterhaltseinkommens nicht hilfebedürftigen minderjährigen Kind zuzurechnen statt dem hilfebedürftigen Elternteil.

Einen zusätzlichen Rechtsaspekt brachte dabei das LSG Nordrhein-Westfalen ein, wo es darum ging, daß das Kindergeld nach der Gesetzesneufassung nun grundsätzlich Einkommen des Kindes sein sollte, so die Klägerin, und nicht Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils:

„Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass das Kindergeld grundsätzlich nicht als Einkommen des Kindergeldberechtigten, sondern im Hinblick auf die Bestimmung § 1612b BGB als Einkommen des Kindes aufzufassen ist, ist nicht etwa im Hinblick auf eine bestehende Regelungslücke geboten (LSG Thüringen, Beschluss vom 04.07.2013 - L 9 AS 395/10). Zwar hat der Gesetzgeber den Kindern durch die Vorschrift des § 1612b BGB das Kindergeld familienrechtlich bindend und unabhängig vom Außenverhältnis zwischen den Bezugsberechtigten und der Familienkasse zugewiesen (vgl. hierzu BVerfG Beschluss vom 14.07.2011 - 1 BvR 932/10). Diese unterhaltsrechtliche Zuweisung kann ein Kind ggf. auf verschiedenen Wegen (u.a. Antrag auf Abzweigung nach § 74 EStG oder Geltendmachung eines Auskehranspruchs - BGH Urteil vom 26.10.2005 - XII ZR 34/03) durchsetzen. Das Kindergeld hat der Klägerin vorliegend jedoch als bereites Mittel zur Verfügung gestanden, da dieses von der Familienkasse nicht an ihren Sohn abgezweigt, sondern an sie ausgezahlt worden ist. Entscheidend ist nicht, ob die Voraussetzungen für eine Abzweigung nach § 74 EStG vorgelegen haben, sondern ob eine solche beantragt und durchgeführt worden ist.“ [3]

Die Trickserei an dieser Stelle besteht in der Problematik des „Bedarfs des Kindes“.

Deshalb sei angemerkt, daß der Schulbedarf der Kinder bei weitem nicht vom BuT (§ 28 SGB II bzw. § 6b BKGG i.V.m. § 28 SGB II, § 34 SGB XII) gedeckt wird; allein die Schulbeihilfe gemäß § 28 Abs. 3 SGB II beträgt nur die Hälfte des realistischen Bedarfs. Auch wenn ab 1. August 2019 nach zehn Jahren (!) die Schulbeihilfe von 100 Euro je Kind und Schuljahr auf dann 150 Euro erhöht wird, ändert dies nicht an der realen Unterdeckung.

Auf den bestehenden Widerspruch zwischen unterhaltsrechtlichen Kindergeld und sozialrechtlichem Kindergeld verwies ein anderer Senat des LSG NRW:

„Anders als die Gesetzesbegründung zur Änderung von § 1612 b BGB dies nahelegt (vgl. BT-Drucksache 16/1830, S 29), erfolgte damit keine befriedigende Harmonisierung des Unterhaltsrechts mit dem Sozialrecht. Zwar sieht auch das SGB II eine Bedarfsdeckung beim Kind durch das Kindergeld vor, wenn es in § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II anordnet, dass das Kindergeld als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen ist, soweit es zur Bedarfsdeckung erforderlich ist. Jedoch nimmt das SGB II genau in den Fällen, in denen ein Teil des Kindergeldes gerade nicht für die Bedarfsdeckung des Kindes erforderlich ist, eine andere Wertung vor. Dann zwingt es im Ergebnis den mit dem Kind zusammen lebenden Elternteil als Elterngeldbezieher dazu, das nach der Grundkonzeption für die Bedürfnisse des Kindes zu verwendende Kindergeld für seinen eigenen Lebensunterhalt zu verbrauchen. Hier weicht die unterhaltsrechtliche Regelung mit seiner Annahme, dass das Kindergeld i.H.v. 92 EUR den Bedürfnissen des Kindes zugutekommt, von der Regelung im SGB II deutlich erkennbar ab.“ [4]

In diesem Falle kam es nicht zu einer höchstrichterlichen Entscheidung am 30. März 2017, da das BSG im Verfahren B 14 AS 11/16 R aus verfahrensrechtlichen Gründen ein Anerkenntnis angeregt hatte, welches das zuständige „Jobcenter“ abgab. Dies war nach dem 23. März 2010, wo es aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs nicht mehr zu einer Entscheidung im Verfahren B 14 AS 3/08 R kam, das zweite Mal, daß es keine Entscheidung in der Sache gab.

Wie problematisch die Sache rechtlich ist, wird auch durch eine vom BGH aufgehobene Entscheidung des OLG Köln deutlich:

„Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist das Kindergeld nicht als Einkommen der Antragsgegnerin zu berücksichtigen. Zwar habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass Kindergeld, das die um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei beziehe, als deren Einkommen zu berücksichtigen sei, soweit es nicht zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts eines minderjährigen Kindes zu verwenden sei. Eine Anrechnung des Kindergelds als Einkommen des Elternteils verbiete aber nunmehr § 1612 b BGB in der seit 1. Januar 2008 geltenden Fassung. Mit der Neuregelung habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das Kind einen Anspruch auf die Auszahlung des Kindergelds oder die Erbringung entsprechender Naturalleistungen gegen den Elternteil habe, der das Kindergeld ausgezahlt erhalte. Damit wäre es unvereinbar, das Kindergeld im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe ganz oder anteilig als Einkommen der antragstellenden Partei zu berücksichtigen und sie auf diese Weise dazu zu zwingen, das Kindergeld wider die vom Gesetzgeber getroffene Zweckbestimmung nicht für das Kind, sondern zur Deckung der eigenen Ver-fahrenskosten zu verwenden.“ [5]

Gleichwohl haben mittlerweile der BGH für die sozialhilfegleiche Prozeßkostenhilfe wie auch das BSG für das SGB II anders entschieden.

Da die Prozeßkostenhilfe § 115 Abs. 1 ZPO sich an § 82 Abs. 1 SGB XII anlehnt [6], kann daß zur Prozeßkostenhilfe (PKH) Gesagte auch auf die Sozialhilfe (SGB XII) übertragen werden. Der BGH:

„Das Sozialhilferecht bzw. das Prozesskostenhilferecht einerseits und das Unterhaltsrecht andererseits folgen unterschiedlichen Regeln (Senatsbeschluss vom 26. Januar 2005 XII ZB 234/03 ...). Die Zweckbindung in § 1612 b Abs. 1 BGB kann mithin nicht dazu führen, eine ausdrückliche sozialhilferechtliche bzw. prozesskostenhilferechtliche Regelung der Bedarfs- und Einkommensermittlung, wie sie in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 b ZPO und § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bezüglich des Bedarfs des Kindes und des Kindergelds vom Gesetzgeber getroffen worden ist, durch eine abweichende familienrechtliche Wertung zu ersetzen.“ [7]

In die gleiche Kerbe schlägt nun auch das BSG.

Auch wenn die aktuelle Entscheidung BSG, Urteil vom 21. März 2019, Az.: B 14 AS 42/17 R, in der es genau um die hier behandelte Problematik des unterhaltsrechtlichen Kindergeldes ging, noch nicht schriftlich vorliegt, so nimmt der Terminsbericht Bezug auf eine Entscheidung vom 14. Juni 2018 im Verfahren B 14 AS 37/17 R, wo es eigentlich um das sog. Kinderwohngeld ging. Obwohl das BSG in dieser Entscheidung feststellt:

„Danach soll das Kindergeld dem betreuenden und dem barunterhaltspflichtigen Elternteil entsprechend dem Grundsatz der Gleichwertigkeit von Betreuungs- und Barunterhalt nach § 1606 Abs 3 Satz 2 BGB jeweils zur Hälfte zu Gute kommen. Demgemäß soll der betreuende Elternteil mit der einen Hälfte des Kindergelds bei der Erbringung seiner Betreuungsleistung unterstützt und die andere Hälfte von ihm für den Barunterhalt des Kindes verwandt werden (vgl BT-Drucks 16/1830 S 30). Insoweit soll die Wendung ‚Das auf das Kind entfallende Kindergeld ist zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden ...’ (§ 1612b Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB) zum Ausdruck bringen, dass das Kind Anspruch auf die Auszahlung des Kindergelds oder die Erbringung entsprechender Naturalleistungen gegenüber demjenigen hat, der das Kindergeld ausgezahlt erhält (vgl BT-Drucks 16/1830 S 30).“ [8]

„Anders als vom Gesetzgeber vorausgesetzt ist dem betreuenden Elternteil eine vollständige Verwendung des hälftigen Kindergelds für den Barunterhalt des Kindes nicht möglich, wenn das Kind - wie hier - wegen seiner weiteren Einnahmen weniger als die Hälfte des Kindergelds zur Deckung seines Bedarfs benötigt und der bezugsberechtigte Elternteil deshalb zur Deckung seines eigenen Lebensunterhalts auf einen Kindergeldanteil verwiesen ist, der nach der unterhaltsrechtlichen Konzeption für den Barbedarf des Kindes eingesetzt werden soll (kritisch insoweit auch etwa LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.11.2015 - L 6 AS 415/14 - ...).“ [9 – Hervorh. H.M.]

„Solange der Gesetzgeber unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Existenzsicherung im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit für solche Fälle grundsicherungsrechtlich gleichwohl an der allgemeinen Zuordnungsregelung des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II festhält, kann dies im Wege gerichtlicher Auslegung indessen nicht korrigiert werden (ebenso BGH vom 14.12.2016 - XII ZB 207/15 - ...). Im Übrigen kann nach der Rechtsprechung des BGH aus § 1612b BGB in bestimmten Fällen ebenso ein Auskehrungsanspruch des Kindes folgen (BGH vom 14.12.2016 - XII ZB 207/15 - ...) wie nach § 74 Abs 1 EStG ein Anspruch auf Auszahlung des für ein Kind festgesetzten Kindergelds bestehen kann (...).“ [10 – Hervorh. H.M.]

Weder das BSG noch der BGH haben sich in ihren Entscheidungen mit verfassungsrechtlichen Argumenten auseinander gesetzt. Daß im Sozialrecht das Kindergeld solange und in solchem Umfange zur Deckung des Bedarfs des Kindes einzusetzen ist wie nötig, auch um Hilfebedürftigkeit im Sinne von SGB II und SGB XII zu vermeiden, ist eine Banalität, die der rechtlichen Problematik hinsichtlich des unterhaltsrechtlichen Kindergeldes in keiner Weise gerecht wird.

Die verfassungsrechtliche Problematik bleibt damit weiterhin offen.

Also, auch wenn die Grundsicherungsträger und die weit überwiegende Mehrheit der Sozialgerichte die Rechtsfrage des unterhaltsrechtlichen Kindergeldes als gelöst – in Wirklichkeit als nie problematisierte – ansehen, so ist sie eben doch noch nicht gelöst. Denn, der Gesetzgeber hat mit der Rechtsänderung 2008 zwar dem barunterhaltspflichtigen Elternteil das Recht auf das hälftige Kindergeld entzogen, was allerdings faktisch bezüglich der Abziehbarkeit vom Unterhaltsbetrag keinerlei Auswirkungen hat, damit ist aber weiterhin nicht die Rechtsfrage geklärt, ob das hälftige Kindergeld, welches der betreuende Elternteil erhält, nun „sein“ Einkommen ist oder doch das des Kindes.

 

Das Bundesverfassungsgericht

„Der Grundsatz der Gleichwertigkeit des Betreuungs- und Barunterhalts nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB sollte in der Neufassung des § 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB Ausdruck finden. Werde ein minderjähriges Kind von einem Elternteil betreut, bedeute dies für den anderen Elternteil, dass der Barunterhaltsbedarf seines Kindes nur um das halbe Kindergeld gemindert werde. In diesem Umfange habe der betreuende Elternteil das regelmäßig an ihn ausgezahlte Kindergeld für den Barunterhalt des Kindes zu verwenden. Die andere Hälfte des Kindergeldes wiederum unterstütze ihn bei der Erbringung seiner Betreuungsleistung (vgl. BTDrucks 16/1830, S. 30).“ [11]

„Mit der Neufassung des § 1612b BGB wollte der Gesetzgeber zudem die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur bedarfsdeckenden Anrechnung von Kindergeld beim Volljährigenunterhalt auf die Kindergeldanrechnung bei minderjährigen Kindern übertragen. Der Bundesgerichtshof hatte festgestellt, dass Kindergeld zum Einkommen volljähriger Kinder zähle und diese daher gegen ihre Eltern einen unterhaltsrechtlichen Anspruch auf Auskehr des Kindergeldes oder auf Verrechnung mit erbrachten Naturalleistungen hätten (…).“ [12]

„An dieser Zuweisung hat der Gesetzgeber anlässlich der Unterhaltsrechtsreform von 2007 nicht festgehalten. Im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz hat er § 1612b BGB neu ausgestaltet und einen Systemwechsel bei der Zuweisung des Kindergeldes vollzogen. In § 1612b BGB n.F. hat der Gesetzgeber das Kindergeld nicht mehr den Eltern, sondern den Kindern selbst als deren eigenes Einkommen familienrechtlich bindend und unabhängig vom Außenverhältnis zwischen dem Bezugsberechtigten und der Familienkasse zugewiesen (vgl. BTDrucks 16/1830, S. 29 f.). Kindergeld wird zwar nach wie vor den Eltern zur Auszahlung gebracht und soll diese auch nach wie vor bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind entlasten. Doch haben Eltern das Kindergeld nach § 1612b BGB n.F. als Einkommen des Kindes zu verwenden und für das Kind einzusetzen. Da das Kindergeld beide Elternteile, also den barunterhaltspflichtigen ebenso wie den betreuenden Elternteil entlasten soll, ist es jeweils zur Hälfte für den Bar- und den Betreuungsunterhalt des Kindes zu verwenden (vgl. BTDrucks 16/1830, S. 30).“ [13 – Hervorh. H.M.]

„Nach § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F. ist Kindergeld zur Hälfte auf den Barunterhaltsbedarf des Kindes anzurechnen, wenn es vom anderen Elternteil betreut wird. Damit hat der Gesetzgeber den Eltern in diesem Falle das Kindergeld zu gleichen Teilen zugewiesen. Allerdings hat er beide Elternteile verpflichtet, das Kindergeld als Einkommen des Kindes zu behandeln und es in voller Höhe für das Kind einzusetzen. In den Gesetzesmaterialien ist unmissverständlich die Vorstellung zum Ausdruck gebracht, dass der betreuende Elternteil den an ihn von der Familienkasse ausgezahlten, auf den barunterhaltspflichtigen Elternteil entfallenden Kindergeldanteil vollumfänglich für den Barunterhalt des Kindes zu verwenden hat, während der ihm zugewiesene Kindergeldanteil ihn bei der Erbringung der Betreuungsleistung unterstützen soll (vgl. BTDrucks 16/1830, S. 30). … Danach ist die frühere Bestimmung des Kindergeldes entfallen, nach der es den Eltern für deren eigene Zwecke zugute kam. [14 – Hervorh. H.M.]

Klarer kann es doch nicht ausgedrückt werden: das unterhaltsrechtliche Kindergeld gehört dem Kind!

 

Fazit:

Weder inhaltlich noch rechtlich ist die Begrifflichkeit des unterhaltsrechtlichen Kindergeldes zu einem rein „sozial(hilfe)rechtlichen“ mutiert.

Für die Betroffenen – vorwiegend Alleinerziehende und ihre Kinder mit Bezug zu den Sozialleistungssystemen SGB II und SGB XII – ist die Frage nach dem rechtmäßigen Umgang mit dem unterhaltsrechtlichen Kindergeld nachwievor aktuell.

 

[Fußnoten; Quellen:]

  [1] BTDrs. 16/1830, S. 29

  [2] Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 27. Oktober 2016, Az.: L 8 AS 1512/13]

  [3] LSG NRW, Urteil vom 24. Februar 2014, Az.: L 19 AS 2286/13

  [4] LSG NRW, Urteil vom 12. November 2015, Az.: L 6 AS 415/14, Rdnr. 25

  [5] BGH, Beschluß vom 14. Dezember 2016, Az.: XII ZB 207/15, Rdnr. 4

  [6] BGH, a.a.O., Rdnr. 7

  [7] BGH, a.a.O., Rdnr. 12

  [8] BSG, Urteil vom 14. Juni 2018, Az.: B 14 AS 37/17 R, Rdnr. 31

  [9] BSG, a.a.O., Rdnr. 33

[10] BSG, a.a.O., Rdnr. 34

[11] BVerfG, Beschluß vom 14. Juli 2011, Az.: 1 BvR 932/10, Rdnr. 20

[12] BVerfG, a.a.O., Rdnr. 22

[13] BVerfG, a.a.O., Rdnr. 37

[14] BVerfG, a.a.O., Rdnr. 47

 

 

 

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