Herbert Masslau

Schulkosten und SGB II / SGB XII

(1. Januar 2005)

 

 

Dieser Artikel ersetzt den Artikel "Schule und Sozialhilfe" vom 14. Mai 2003 [http://www.HerbertMasslau.de/pageID_576249.html], der mit der neuen Rechtslage ab 1. Januar 2005 obsolet geworden ist.

 

Aktualisierung: Im Bundesland Niedersachsen sind aufgrund des Runderlasses des Kultusministers vom 11. März 2005 ab dem Schuljahr 2005/2006 Leistungsberechtigte nach dem SGB II, SGB XII, AsylbLG und SGB VIII (Heimkinder/Pflegekinder) von der Zahlung einer Ausleihgebühr für Schulbücher befreit. (17. April 2005)

 

Vorbemerkung

Grundsätzlich gilt, daß der Schulbesuch die ersten neun Schuljahre, in der Regel also bis zum 15./16. Lebensjahr, in Deutschland Pflicht ist. Die in Artikel 7 Grundgesetz (GG) festgeschriebene Schulpflicht bricht in gewissem Rahmen sogar das verfassungsmäßige Elternrecht des Art. 6 GG.

Damit handelt es sich aber auch bei dem durch die Schulpflicht begründeten Schulbesuch der Kinder nicht um irgendein Privatvergnügen, das diejenigen, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen irgendwie selber zu finanzieren hätten.

Schon zu Zeiten der alten Sozialhilfe (BSHG) mußten die Behörden/Leistungsträger bis hin zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) gezwungen werden, Sozialhilfe beziehenden Eltern die notwendigen Kosten des Schulbesuches ihrer Kinder zu erstatten [beispielhaft: Urteil vom 29.10.1997 – Az.: BVerwG 5 C 34.95 und Urteil vom 28.3.1996 – Az.: BVerwG 5 C 33.95 hinsichtlich der „kleinen Lernmittel“ und des Einschulungsbedarfs].

Zwar dürfte es mittlerweile kaum noch eine Schule geben, die nicht einen sogenannten Sozialfonds unterhält, aus dem eben finanzschwache Eltern Unterstützung für Kosten des Schulbesuchs ihrer Kinder erhalten sollen. Diese Mittel sind aber in der Regel begrenzt. Außerdem wird auf diese Weise nur der Sozialstaat aus seiner Pflicht entlassen. Und noch haben wir neben einem Kunstmäzenatentum der Reichen noch kein Bildungsmäzenatentum. [Über die geplante zukünftige Entwicklung siehe meinen Artikel „Bildungsterrorismus“ – http://www.HerbertMasslau.de/pageID_1266366.html].

Da aufgrund der seit 1. Januar 2005 geltenden neuen Rechtslage (SGB II/SGB XII) fast alle bisherigen Einmaligen Leistungen pauschaliert und im Regelsatz enthalten sind, sind viele für die Betroffenen positiven obergerichtlichen und höchstrichterlichen Entscheidungen zum alten Sozialhilferecht (BSHG) obsolet geworden. Das heißt, die Klagerei geht von vorne los. Die Chancen stehen allerdings nicht schlecht. Denn wie nachfolgend ersichtlich wird die im Regelsatz enthaltene Pauschale für Einmalige Leistungen allein zu mehr als einem Drittel durch die Schulkosten aufgefressen. Deshalb sollten Eltern insbesondere bei Einschulungen, aber auch hinsichtlich der abgeschafften Lernmittelfreiheit (kostenlose Schulbuchüberlassung) diese zusätzlichen Belastungen einklagen. Nur muß klar sein, daß es seit dem 1. Januar 2005 nicht mehr nur gegen gegen das Gesetz verstoßende Sachbearbeiter/Behörden geht, sondern gegen das Gesetz (SGB II/SGB XII) selber.

 

Rechtsgrundlagen

SGB II

Aus dem Gesetz ergibt sich durch Querlesen, daß mit der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II alles umfaßt ist mit Ausnahme der Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22), gewisser Mehrbedarfe (§ 21), bestimmter einmaliger Leistungen (§ 23) und gewisser Zuschläge und Zuschüsse (§§ 24-26).

Von Interesse ist an dieser Stelle lediglich § 23 Abs. 3 Nr. 3 SGB II (identisch mit § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII), der bestimmt, daß „mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen“ nicht zur Regelleistung gehören [BGBl. I, 2003, Nr. 66, S. 2962].

Mit dem Gesetz zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Optionsgesetz) vom 30 Juli 2004 ist dies sogar noch verschärft worden durch folgenden dem § 23 SGB II angefügten Absatz 4 [BGBl. I, 2004, Nr. 41, Art. 1 Nr. 12a, S. 2016]:

„(4) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts können als Darlehen erbracht werden, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen.“

Zwar regelt schon § 23 Abs. 1 SGB II, daß ein von der Regelleistung umfaßter Bedarf, wenn er weder aus der Regelleistung noch aus dem Vermögensfreibetrag von 750 EUR pro Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (§ 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II) bezahlt werden kann, als Sach- oder Geldleistung auf Darlehensbasis zu gewähren ist. Aber damit sind nur die Kosten für „kleine Lernmittel“, für Schulranzen, Kosten der Einschulung usw. umfaßt, da § 23 Abs. 3 SGB II ausdrücklich bestimmt, daß „Leistungen für ... 3. mehrtägige Klassenfahrten ... (...) nicht von der Regelleistung umfasst (sind)“ [BGBl. I, 2003, Nr. 66, S.2962]. Damit müßten die Kosten für eine mehrtägige Klassenfahrt auf alle Fälle übernommen werden.

Um den Betroffenen – auch bei Aufnahme eines Minijobs oder einmaligen Gelegenheitsarbeiten – keinen Cent „zuviel“ zu belassen, wurde benannter Absatz 4 nachgeschoben. Denn in Absatz 4 ist nicht mehr von der Regelleistung die Rede, sondern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. So aber ist der gesamte die Paragraphen 19 bis 35 umfassende Abschnitt des SGB II betitelt. Und damit sind dann auch die Kosten für mehrtägige Klassenfahrten, die noch von der Restriktion des Absatzes 1 ausgenommen waren, durch den nachgeschobenen Absatz 4 zu Lasten der Betroffenen erfaßt.

 

SGB XII

Auch hier gilt im Grundsatz (§ 28 SGB XII), daß alles, ausgenommen die Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 29) und für Sonderbedarfe (§§ 30-34) aus dem Regelsatz zu bezahlen ist.

Lediglich § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII (identisch mit § 23 Abs. 3 Nr. 3 SGB II) bestimmt die Kostenübernahme für „mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schlurechtlichen Bestimmungen“.

Diese Leistung wird nach § 31 Abs. 2 SGB XII auch für sogenannte Minderbemittelte (früher: § 21 Abs. 2 BSHG) erbracht.

Hier braucht es keiner weiteren Bestimmungen, da sogenannte Minderbemittelte ja ihren sozialhilferechtlichen Regelbedarf durch eigenes Einkommen bestreiten und lediglich notwendige Sonderbelastungen nicht finanzieren können (im juristischen Verständnis der Problematik).

 

Die Konsequenzen

Aus der eben beschriebenen Rechtslage, wie sie sich nach den Regelungen des SGB II und SGB XII ergibt, folgen arge finanzielle Konsequenzen für die betroffenen Leistungsempfängerinnen und -empfänger:

Aufgrund der mit den neuen sozialhilferechtlichen Regelungen des SGB II und SGB XII einhergehenden Pauschalierungen von Leistungen im Rahmen des Regelsatzes gelten jetzt die Bedarfe an Schulmaterialien, die während des Schuljahres als Verbrauch entstehen, im Verwaltungsdeutsch „kleine Lernmittel“ genannt, wie der Ersatz von Füllerpatronen, Buntstiften, Schreibheften usw. als mit dem Regelsatz (§ 20 SGB II/§ 28 SGB XII) abgegolten.

Dies gilt sogar für große Anschaffungen wie Einschulungsbedarf, Schulranzen und für besondere Bedarfe wie sie bei Schulwechseln zu höheren Schulen entstehen (Zirkel, Atlanten usw.).

Bereits 1996 sprach das Bundesverwaltungsgericht als Grundbedarf für eine Einschulung (ohne Schulranzen) einer niedersächsischen Klägerin umgerechnet 70 EUR zu. Aufgrund der von mir anhand eigener diesbezüglicher Ausgaben für die Jahre 2000 bis 2003 errechneten jährlichen Schulmaterial-Inflationsrate von durchschnittlich 5 % pro Jahr, ergäbe dies für das Jahr 2005 hochgerechnet für den Einschulungsbedarf einen Betrag von ca. 110 EUR pro Kind. Dazu kommen dann noch etwa 50 EUR für einen gewöhnlichen Schulranzen, der also weder ein teurer Markenranzen noch eine billige PVC-Version, in die es reinregnet, ist.

Dies allein ergäbe über ein Kalenderjahr gerechnet einen Betrag von 13 EUR monatlich, welcher entweder aus der in den Regelsatz eingearbeiteten Pauschale von 48 EUR [297 EUR BSHG-Regelsatz (West) + 48 EUR Pauschale = 345 EUR AlgII (West)] oder aus dem Vermögensfreibetrag von einmalig 750 EUR pro Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (§ 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II; keine adäquate Regelung beim SGB XII) zu zahlen wäre.

Erschwerend hinzu kommt – so hat zum Beispiel Niedersachsen mit Beginn des Schuljahres 2004/2005 zum 1. August 2004 die Lernmittelfreiheit abgeschafft –, daß die Eltern für ihre schulpflichtigen Kinder zusätzlich die Kosten für die Schulbücher tragen müssen. Und zwar entweder den vollen Neupreis oder ein Drittel des Neupreises als Miete, wenn sie diese Bücher, die die Schule vorher kostenlos ausgeliehen hat, jetzt bei der Schule für den Bedarfszeitraum mieten. Das macht umgerechnet pro Kind und Monat noch einmal ca. 4 EUR.

Unterstellen wir einmal, daß der Regelfall der ist, daß Eltern schulpflichtiger Kinder Leistungsbezieher nach dem SGB II sind. Unterstellen wir ferner, daß der Vermögensfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II für wirklich wichtige Großanschaffungen herhalten muß, also Waschmaschine, Großmöbel, Kinderfahrrad usw., dann wäre in der Tat nur der Regelsatz für die Finanzierung der mit dem Schulbesuch der Kinder verbundenen Kosten vorhanden. Nun sind zwar die Kosten für die Zuzahlungen von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger nach dem alten Recht (BSHG) vom Regelsatz einfach abgezwackt worden, aber unterstellen wir, diese Kosten von 7 EUR monatlich würden nun von der Regelsatzpauschale bezahlt und auch die Kosten in mindestens gleicher Höhe, die ab dem 1. Juli 2005 hinzukommen für die Zusatzversicherung für Zahnersatz. [Korrektur 8. Januar 2005:] Ab 1. Juli 2005 gilt ein zusätzlicher Beitragsatz in Höhe von 0,9 % des Bruttogehalts, der gemäß § 241a Abs. 2 SGB V nicht für Personen gilt, die Arbeitslosengeld II beziehen. Dennoch zeigen erste Erfahrungen, daß trotz des doppelten Festbetragszuschusses nach der neuen Härtefallregelung des § 55 Abs. 2 SGB V, Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen, einen Zuschuß bei Erneuerung von Kronen, Brücken zahlen müssen, wenn sie vor Jahren Zahnersatz nach ihrer Wahl haben einbauen lassen, der mit dem Regelzahnersatz nicht übereinstimmt; dieser Personenkreis dürfte eine signifikante Größenordnung haben. Und auf den Monat umgerechnet entspricht der Zuzahlungsbetrag in etwa dem oben genannten, weshalb der Betrag hier stehen bleibt. Dann ist die Regelsatzpauschale von 48 EUR bereits auf mindestens 34 EUR reduziert.

Jetzt kommen noch die Schulmaterialien hinzu. Wer Kinder einzuschulen hat reduziert dabei die Regelsatzpauschale auf das Kalenderjahr umgerechnet um mindestens 13 EUR für Einschulungsbedarf inklusive Schulranzen, ferner 4 EUR für gemietete Schulbücher und einen weiteren Euro für „kleine Lernmittel“ pro Kind und Monat. Dann blieben von der Regelsatzpauschale von 48 EUR nur noch höchstens 16 EUR über.

Diese 16 EUR entsprechen in etwa dem, was schon vor zehn Jahren auf den Monat umgerechnet an Bekleidungspauschale bei der Sozialhilfe (BSHG) gezahlt wurde.

Und wovon sollen dann noch die anderen pauschalierten Leistungen bezahlt werden?!

 

 

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