Herbert Masslau

Schulbeihilfe § 24a SGB II (§ 28a SGB XII): regierungsamtliche „Formulierungshilfe“

(2. Mai 2009)

 

 

Schon in meinem Artikel „Schulbeihilfe im SGB II (und SGB XII)“ vom 23. Januar 2009 wies ich auf Folgendes hin:

 

„Ein Problem, was aber alle, egal ob Bedürftige nach SGB II oder SGB XII, betrifft, ist, daß in jedem Fall nur zum Schuljahresbeginn, egal, ob der juristische oder der tatsächliche, die Schulbeihilfe gezahlt werden soll. Damit gibt es nicht einmal eine auch nur monatlich anteilige Schulbeihilfe.“

„Das Gleiche gilt für die Beschränkung auf den Abschluß der 10. Klasse. ... Allein hieraus ergibt sich schon ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG. Eine Begrenzung auf die ersten 10 Schuljahre ist nicht einsichtig begründbar und verletzt damit das Willkürverbot.“

„Wegen der im Wortlaut eindeutigen Vorgaben kann die Rechtsprechung beim § 24a SGB II auch keine verfassungskonforme Umdeutung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 GG hin zu einer monatlich anteiligen Schulbeihilfe vornehmen.“

 

Denkste!

Wie nun die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion „Die Linke“ vom 26. März 2009 [*] lehrt, ist weder dem Maß an fachlich-handwerklicher Inkompetenz noch dem Ausmaß an hirnrissiger Argumentation irgendeine Grenze gesetzt.

Ich empfehle jeder und jedem die Lektüre der Bundestagsdrucksache 16/12482. Dabei beschränke ich mich nachfolgend auf die zentralen Antworten. Wer wissen möchte, welche Personengruppen nach der gesetzlichen Formulierung sonst noch vom Leistungsbezug einer Schulbeihilfe ausgeschlossen sind/wären, sollte sich den ganzen Text zu Gemüte führen. Aber Vorsicht: manche Passagen der Regierungsantwort sind nur im total bekifften Zustand erträglich – der Verfasser dieses Artikels mußte es nüchtern über sich ergehen lassen, was die geneigte Leserschaft entsprechend würdigen möge.

 

Das Zauberwort für die Auslegung der Rechtsvorschrift „§ 24a SGB II / § 28a SGB XII“ lautet: „F o r m u l i e r u n g s h i l f e“.

„Die Koalitionsfraktionen haben das Bundesministerium der Finanzen am 5. März 2009 um Erstellung einer innerhalb der Bundesregierung abgestimmten Formulierungshilfe gebeten, nach der die zusätzliche Leistung für die Schule über die 10. Jahrgangsstufe hinaus und auch Kinderzuschlagsberechtigten gewährt wird. Die zu beteiligenden Bundesministerien haben eine entsprechende Formulierungshilfe vorbereitet.“

 

Die Absurdität sei an den Gesetzesformulierungen nachfolgend dargestellt.

 

Beispiel: Beschränkung der Schulbeihilfe bis zum Ende der 10. Schuljahrgangsstufe

Gesetzestext

„Schüler,…, erhalten bis zum Abschluss der Jahrgangsstufe 10 eine zusätzliche Leistung für die Schule in Höhe von 100 Euro,…“.

„Formulierungshilfe“ der Bundesregierung

„Danach wird die bisher im Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch eingeführte zusätzliche Leistung für die Schule … auch auf den Schulbesuch über die 10. Jahrgangsstufe hinaus ausgedehnt.“

„In der bisherigen Begrenzung auf die Jahrgangsstufe 10 ist kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes zu sehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber insbesondere bei Leistungsgesetzen einen weiten Gestaltungsspielraum.“

Das BVerfG zum Gleichbehandlungsgebot Art. 3 GG

„Da nach dieser Vorschrift in erster Linie eine ungerechtfertigte verschiedene Behandlung von Personen verhindert werden soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengeren Bindung. Diese ist nicht auf unmittelbar personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (…). Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Außerhalb des so umschriebenen Bereichs lässt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber jedoch weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Die Grenze bildet insoweit allein das Willkürverbot (…).“ [BVerfG, Beschluß vom 10. Oktober 2008, Az.: 1 BvR 1421/08, Rdnr. 16]

Worin bitte schön liegt die Begründung für die ursprüngliche Ungleichbehandlung, wenn es sich in beiden Fällen um Schüler handelt und die Anspruchsvoraussetzungen ansonsten auch erfüllt sind, außer in der Willkür, daß von “Hartz IV“ betroffene Kinder keinen höheren Schulabschluß machen sollen?!

Art. 80 GG [Normenklarheitsgebot]

(Abs. 1) „Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. …“

Die im Gesetz angegebene Rechtsverordnungsvollmacht steht in § 27 SGB II und regelt ausdrücklich Näheres zu den Unterkunftskosten (KdU) sowie zur Pauschalierung bei Leistungen nach § 23 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II. Diese Verordnungsvollmacht ist bis heute nicht umgesetzt und enthält schon gar nicht die Schulbeihilfe § 24a SGB II. Einmal abgesehen davon, daß eine „Formulierungshilfe“ keine Rechtsverordnung ist.

Was aber bedeutet das konkret für die Betroffenen?

Das kann bedeuten, daß sich einzelne „geile“ ARGEn und vor Allem die Optionskommunen zu Recht (!) mit Berufung auf die konkrete Gesetzesformulierung weigern könnten, die Schulbeihilfe auszuzahlen für Schülerinnen und Schüler jenseits der Jahrgangsstufe 10.

Wir haben es hier mit dem Fall zu tun, daß wegen der nicht auslegungsfähigen eindeutigen Formulierung im Gesetz die Sozialleistungsbehörden gegen geltendes Recht verstoßen müßten aufgrund lediglich einer regierungsamtlichen „F o r m u l i e r u n g s h i l f e“ – soviel handwerkliche Scheiße stinkt zum Himmel!

 

Beispiel: Beschränkung der Schulbeihilfe auf Familien mit hilfebedürftigem Elternteil

Gesetzestext

„Schüler,…, erhalten … eine zusätzliche Leistung für die Schule in Höhe von 100 Euro, wenn mindestens ein im Haushalt lebender Elternteil … Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch hat.“

„Formulierungshilfe“ der Bundesregierung

„Nicht den alleinerziehenden Personen oder Eltern, sondern den Schülerinnen und Schülern selbst wird die zusätzliche Leistung für die Schule gewährt.“ … „In der Formulierungshilfe wurde ausdrücklich geregelt, dass auch ein hilfebedürftiges Kind, dessen Eltern nicht hilfebedürftig sind, die Leistung erhalten kann.“

Den Rest kennt die geneigte Leserschaft schon:

Wir haben es hier mit dem Fall zu tun, daß wegen der nicht auslegungsfähigen eindeutigen Formulierung im Gesetz die Sozialleistungsbehörden gegen geltendes Recht verstoßen müßten aufgrund lediglich einer regierungsamtlichen „F o r m u l i e r u n g s h i l f e“ – soviel handwerkliche Scheiße stinkt zum Himmel!

 

Beispiel: Beschränkung der Schulbeihilfe auf Familien mit am Stichtag 1. August hilfebedürftigem Elternteil

Gesetzestext

„Schüler,…, erhalten … eine zusätzliche Leistung für die Schule in Höhe von 100 Euro, wenn mindestens ein im Haushalt lebender Elternteil am 1. August des jeweiligen Jahres Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch hat.“

„Formulierungshilfe“ der Bundesregierung

„Bei der zusätzlichen Leistung für die Schule handelt es sich aufgrund der Zahlungsweise (einmal jährlich) und ausweislich der nach der Begründung des Gesetzentwurfs abgedeckten Bedarfe (…) nicht um eine Leistung zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts. Dies wollte der Gesetzgeber nicht nur durch die Einfügung der Vorschrift nach § 24 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zum Ausdruck bringen, sondern auch durch die Formulierung ‚zusätzliche’ Leistung.“

„Insbesondere hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen, die zusätzliche Leistung für die Schule in Abhängigkeit von der Dauer der Hilfebedürftigkeit im Bewilligungszeitraum, im Schuljahr oder im Kalenderjahr entsprechend zu quoteln. Da Ausgaben für Schulbedarfe vorwiegend zum Schuljahresbeginn anfallen, wäre eine Aufteilung beispielsweise auf 12 monatliche Zahlungen (mit einer dann möglichen Einrechnung in die monatliche Regelleistung) auch nicht zweckdienlich gewesen.“

„Eine andere Lösung – anteilige Leistung je Kalendermonat, in dem Hilfebedürftigkeit vorliegt – wäre der Systematik des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch fremd gewesen und hätte erheblichen Verwaltungsmehraufwand bedeutet.“

8,33 Euro (monatlich) hätten ja auch richtig scheiße geklungen, nicht so motzig wie 100 Euro.

Laut Begründung der Bundesregierung soll mit dem neuen § 24a SGB II (§ 28a SGB XII) der „Erwerb von Gegenständen zur persönlichen Ausstattung für die Schule (z.B. Schulranzen, Schulrucksack, Turnzeug, Turnbeutel, Blockflöte) und für Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien (z.B. Füller einschließlich Tintenpatronen, Kugelschreiber, Bleistifte, Malstifte, Malkästen, Hefte, Blöcke, Papier, Lineale, Buchhüllen, Zirkel, Taschenrechner, Geodreieck)“ [BTDrs. 16/10809] ermöglicht werden. Nun mögen mir diese Ministerialen, die im Monat mindestens das an Gehalt bekommen, was ein durchschnittlicher „Hartz IV“-Empfänger im Jahr an Leistungen bekommt, einmal als hinsichtlich Schulkinder erfahrungsschwangeren Vater erklären, wie bereits zu Schuljahresanfang der konkrete Verbrauch an Tintenpatronen, Heften, Blöcken, Papieren ermittelt wird. Was unterscheidet also einen Schüler, eine Schülerin mit einem am 1. August hilfebedürftigen Elternteil von einem Schüler, einer Schülerin mit einem erst am 2. August hilfebedürftigen Elternteil?!

Das BVerfG zum Gleichbehandlungsgebot Art. 3 GG

„Da nach dieser Vorschrift in erster Linie eine ungerechtfertigte verschiedene Behandlung von Personen verhindert werden soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengeren Bindung. Diese ist nicht auf unmittelbar personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (…)“ [BVerfG, Beschluß vom 10. Oktober 2008, Az.: 1 BvR 1421/08, Rdnr. 16]

Den Rest kennt die geneigte Leserschaft schon:

Wir haben es hier mit dem Fall zu tun, daß wegen der nicht auslegungsfähigen eindeutigen Formulierung im Gesetz die Sozialleistungsbehörden gegen geltendes Recht verstoßen müßten aufgrund lediglich einer regierungsamtlichen „F o r m u l i e r u n g s h i l f e“ – soviel handwerkliche Scheiße stinkt zum Himmel!

 

Wie die geneigten Leserinnen und Leser sehen, bleibt den Betroffenen nichts Anderes übrig als den Klageweg zu beschreiten: im Falle einer Leistungsablehnung ohnehin, im Falle einer Leistungsbewilligung wegen der Höhe.

 

In jedem Fall läßt sich zwar etwas polemisch, aber nicht unberechtigt formulieren: Die Kompetenz ist arbeitslos, die Inkompetenz  – dank Parteibuch – eindeutig überbezahlt!

 

 

[*] Deutscher Bundestag Drucksache 16/12482 (vom 26. März 2009) – http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/124/1612482.pdf

 

 

 

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