Herbert Masslau

Der Regelleistungszynismus des BSG

(4. Juni 2008)

 

 

1. Die pauschalierte Regelleistung § 20 SGB II für arbeitsfähige Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger ist nicht überprüfbar, aber der Höhe nach sichert sie das verfassungsmäßige sozio-kulturelle Existenzminimum.

2. Eine Öffnungsklausel für ungedeckten Bedarf wie beim § 28 SGB XII, dem Regelsatz für nicht arbeitsfähige Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger, gibt es nicht, und SGB II-Empfänger können keine Sozialhilfe nach SGB XII bekommen, aber diese Schlechterstellung stellt keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz Art. 3 Abs. 1 GG dar.

 

Die Begründung der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Warmwasser-Abzug vom 27. Februar 2008 (Az.: B 14/11b AS 15/07 R) wurde vieler Orten mit Spannung erwartet.

Jetzt, wo sie nach über drei Monaten öffentlich vorliegt, stellt sich heraus, daß diese Entscheidung über den Abzug der Warmwasserkosten von den Heizungskosten viel mehr ist als das: sie ist eine deklaratorische Auseinandersetzung mit der Regelleistung des SGB II.

Diese war zwar schon mit der BSG-Entscheidung B 11b AS 1/06 R vom 23. November 2006 für verfassungsgemäß erklärt worden, aber ohne jeden weiteren Beweis:

Lapidar sah der 11b. Senat des BSG keine durchgreifenden „verfassungsrechtliche Bedenken … gegen die in § 20 Abs 2 und 3 SGB II gesetzlich festgeschriebene Höhe der Regelleistungen. Der Senat folgt insbesondere nicht dem Vorbringen der Revision, die genannten Vorschriften gewährleisteten nicht das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum und verstießen gegen die Menschenwürde“ [a.a.O., Rdnr. 46]

Auch die Tatsache, daß die Regelleistung SGB II mit 345 EUR schon längst feststand, bevor überhaupt deren Voraussetzung, die Regelsatzverordnung, erlassen war, bereitete dem 11b. BSG-Senat keinerlei rechtliches Kopfzerbrechen:

„Der Senat hat auch berücksichtigt, dass die RSV bis zur Verabschiedung des SGB II durch den Bundestag im Dezember 2003 noch nicht erlassen war und dass erst mit Schreiben der Bundesregierung vom 10. März 2004 der RSV-Entwurf und dessen Begründung dem Bundesrat übermittelt wurde (BR-Drucks 206/04; …), ferner, dass vor dem Gesetzesbeschluss zum SGB II der Vorentwurf einer RSV (Stand 21. Juli 2003, …) vorlag, der im Detail von der späteren RSV vom 3. Juni 2004 (BGBl I 1067) abweicht.“ [a.a.O., Rdnr. 50]

Der 11b. BSG-Senat lieferte die lapidare Begründung gleich hinterher:

Denn hierin hat der parlamentarische Gesetzgeber, der allein an das GG gebunden ist, die Höhe der Regelleistung unmittelbar bestimmt.“ [a.a.O., Rdnr. 51]

Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen – vielleicht sollte es besser heißen: dem Faß den Boden auszuschlagen –, setze der 11b. BSG-Senat noch ein zynisches Bonmot oben drauf:

„Bei der Vertretbarkeitsprüfung ist auch zu bedenken, dass die gegenwärtige Situation durch die Zunahme niedrig entlohnter Tätigkeiten und durch Einkommenseinbußen in breiten Bevölkerungskreisen geprägt ist, weshalb dem Gesichtspunkt des Lohnabstandsgebotes maßgebliche Bedeutung zukommen muss (…). Diesem Gebot entspricht, dass in der Konsequenz der Festlegung der Regelleistung in § 20 Abs 2 SGB II der Hilfeempfänger weniger konsumieren kann als die untersten 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der EVS ohne Einbeziehung der Hilfeempfänger (…).“ [a.a.O., Rdnr. 53]

 

Alle anderen Revisionsentscheidungen des BSG bezogen sich ohne weitere eigene Analyse auf diese Entscheidung des 11b. Senats (B 11b AS 1/06 R), die damit als Grundsatzentscheidung hinsichtlich der SGB II-Regelleistung gelten kann.

Trotzdem haben die betroffenen „Hartz IV“-Empfängerinnen und -empfänger nicht aufgehört, weiterhin die Verfassungswidrigkeit der Regelleistung zu beklagen. Schließlich bietet die genannte Grundsatzentscheidung des 11b. BSG-Senats ja auch keinerlei Anhaltspunkt für die Verfassungsgemäßheit der Regelleistung außer deren bloße Behauptung.

 

Hier nun kommt die Warmwasser-Entscheidung des 14. BSG-Senats ins Spiel, mit welcher der in Zukunft allein für das SGB II zuständige BSG-Senat eine Art zweiter Grundsatzentscheidung hinsichtlich der Regelleistung des SGB II getroffen hat.

Dabei lag der BSG-Entscheidung eine interessante Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts (Urteil vom 29. März 2007, Az.: L 3 AS 101/06) zu Grunde, in der sich dieses Obergericht – immerhin bis dahin einmalig in der Bundesrepublik – in einer 14-seitigen Entscheidung der Mühe einer detaillierten Analyse unterzog. Alles umsonst. Auch hier wischt das BSG die Entscheidung lapidar vom Tisch:

Das LSG verkennt bei seinen statistisch/mathematischen Betrachtungen der Ermittlung der Werte in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, dass die Festlegung des Regelsatzes bzw der Regelleistung letztlich ein normativ/wertender Prozess ist, der in seinen einzelnen Schritten keinen naturwissenschaftlich-mathematisch ableitbaren Richtigkeitsansprüchen unterliegt. Es ist geradezu das Wesen einer pauschalierten Regelleistung, dass sie dem Leistungsempfänger in ihrer Gesamtheit zur selbstverantwortlichen Gestaltung seines Lebens zur Verfügung gestellt wird. Dementsprechend ist es rechtlich nicht möglich, die in den einzelnen Abteilungen der EVS zum Ausdruck kommenden Verbrauchspositionen einer je gesonderten juristischen Richtigkeitsprüfung zu unterziehen. Unter Berücksichtigung des Systems der Leistungen im SGB II ist die Regelleistung insgesamt in ihrer Höhe verfassungsrechtlich zu würdigen (…).

…(Verfassungs-) rechtliche Probleme entstünden erst dann, wenn das Leistungssystem des SGB II insgesamt nicht mehr den Anforderungen des Art 1 iVm Art 20 GG genügen würde. Das ist jedoch, wie das BSG bereits mehrfach entschieden hat, nicht der Fall (…). Der Senat hält es von daher nicht für geboten, jede einzelne in den Prozess der Bemessung der Regelleistung normativ wertend einfließende Position auf ihre mathematisch/statistische Richtigkeit zu überprüfen.“ [BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, Az.: B 14/11b AS 15/07 R, Rdnr. 22]

Was eindeutig fehlt, ist die Auseinandersetzung mit der Logik. Denn, wenn die meisten oder gar alle Einzelpositionen zu niedrig bemessen sind, dann kann die Gesamtleistung (345 EUR, ab 1. Juli 2008: 351 EUR) nicht mehr stimmen, was aber wiederum nur über die Summe der Einzelpositionen und nicht über die Endsumme belegt werden kann!

– Nebenbei bemerkt: Wenn es in besagter BSG-Entscheidung heißt „Nach der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II ergeben sich mithin 6,22 EUR der Regelleistung für Warmwasser.“ [a.a.O., Rdnr. 26] dann darf getrost nach den geistigen Fähigkeiten dieser Bundesrichter gefragt werden. Sowas ist jedenfalls kein reiner Rechen- oder Schreibfehler mehr. –

Um die Diskussion über die Verfassungsgemäßheit der Regelleistung SGB II endgültig abzuwürgen, heißt es weiter:

„Unabhängig davon, ob man den auf eingehenden Ermittlungen des LSG beruhenden Ausführungen zu den rechnerischen und empirischen Grundlagen der einzelnen Positionen der EVS und dem, was davon in die Bestimmung der Höhe der Regelleistung eingeflossen ist, folgt, hat dieses nach der Rechtsauffassung des Senats keinen Einfluss auf die Höhe des Abzugsbetrags für Wwb. Auch im Hinblick auf die Festlegung der einzelnen Bedarfsgrößen, die letztendlich die Höhe der Regelleistung bestimmen, handelt es sich um einen normativ/wertenden Prozess. Dementsprechend ist es rechtlich nicht möglich, - wie bereits oben eingehend dargelegt - die in den einzelnen Abteilungen der EVS zum Ausdruck kommenden Verbrauchspositionen einer je einzelnen juristischen Richtigkeitsprüfung zu unterziehen.“ [a.a.O, Rdnr. 28]

So argumentiert kann der Gesetzgeber die Regelleistung willkürlich festlegen wie er will, die Verfassungswidrigkeit der Höhe ist so nie nachweisbar.

Am Beispiel der Warmwasserkosten macht der 14. BSG-Senat dies konkret:

„Ist es über die Einrichtung getrennter Zähler oder sonstiger Vorrichtungen technisch möglich, die Kosten für Warmwasserbereitung konkret zu erfassen, so sind auch diese konkreten Kosten von den geltend gemachten Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II abzuziehen. Auch dies liegt in der Logik des Systems der Regelleistung. In dem Moment, in dem eine konkrete Erfassung der Kosten der Warmwasserbereitung möglich ist, obliegt es der Selbstverantwortung und dem Selbstbestimmungsrecht des Grundsicherungsempfängers, seinen Warmwasserverbrauch zu steuern.“ [a.a.O., Rdnr. 27]

Um dann sogleich ein Aber anzufügen:

„Solange eine solche Erfassung jedoch nicht möglich ist, ist wiederum im Umkehrschluss typisierend zu unterstellen, dass mit den genannten Beträgen auch die Kosten der Warmwasserbereitung gedeckt werden können.“ [a.a.O., Rdnr. 27]

Also: es ist zu unterstellen (sic!), daß die in der Regelleistung berücksichtigten Positionen der Höhe nach stimmen, d.h. auf unterstem Niveau ein Leben ermöglichen. Es ist aber, wie schon gezeigt, mit Billigung des BSG nicht erlaubt, das auch konkret nachrechnen und gerichtlich überprüfen lassen zu wollen.

 

Fazit: Das BSG hat mit seiner Warmwasser-Entscheidung B 14/11b AS 15/07 R der fachgerichtlichen Überprüfbarkeit, ob die Regelleistung § 20 SGB II das sozio-kulurelle Existenzminimum abdeckt, jeglichen Boden unter den Füßen entzogen.

Zwar ist es richtig, daß auch dem BSG als Fachgericht die verfassungsmäßige Überprüfung der Höhe der Regelleistung dann entzogen ist, wenn sie, wie gegeben, vom Gesetzgeber selber bestimmt worden ist, aber das hätte das BSG nicht daran gehindert, mit einem Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungsgemäßheit der Regellesitung SGB II überprüfen zu lassen. Dazu allerdings hätte das BSG eine eigene fundierte Position (analog der des LSG Sachsen) entwickeln müssen, was es nicht wollte – die Erde ist eine Scheibe, ist eine Scheibe, ist eine Scheibe…

 

 

 

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